al-Samidoun

Kommentare und Berichte zu Politik, Religion und Kultur mit Fokus auf den Nahen Osten.

Sonntag, 5. Juni 2011

Grenztote... (II)

Und wieder ist die Situation an der Grenze zwischen Syrien und den israelisch besetzten Golanhöhen eskaliert. Zwar ist es abwegig zu glauben, dass das Assad-Regime solche Aktionen nicht nutzt um von den eigenen Schandtaten abzulenken, doch offensichtlich scheint man auch auf israelischer Seite gerne an diesem Spiel teilzunehmen.

Das letzte Mal als die IDF arabische Demonstranten im Grenzgebiet erschoss hieß es noch von offiziellen israelischen Stellen, man sei einfach von der Aktion überrascht gewesen und habe daher nicht genügend Gummigeschosse und Tränengas vorrätig gehabt, weshalb man wohl oder übel auf scharfe Munition zurückgreifen musste. Es sei aber nur auf die Beine gezielt worden! Ist das nicht fair?

Arabische Demonstranten an der Grenze

Jetzt also wieder Tote. Die konkreten Zahlen sind aufgrund des Propagandakampfes zwischen syrischer und israelischer Regierung unklar. Zwischen 5 und 22 Menschen soll die moralischste Armee der Welt erschossen haben. Vermutlich war diese abermals total überrascht von der Aktion. Vermutlich hatte sie wieder keine "Nicht-tödlichen Waffen" vorrätig. Vermutlich hat der israelische Geheimdienst immer noch keinen Internetanschluss und konnte daher nicht die Online-Aufrufe zu der Aktionen lesen. Vermutlich ist einfach alles wieder nur dumm gelaufen, denn die Absichten Israels sind grundsätzlich gut.


Einseitige Berichterstattung?
Das ist zumindest der Ton, in dem europäische Medien über den Nahost-Konflikt berichten.
Von den toten Palästinensern liest man in den Zeitungen jedenfalls (wenn überhaupt) nur in Randnotizen. Ein Toter oder wenigstens verletzter Israeli landet hingegen auf den Titelseiten.
Dass diese einseitige Parteinahme der Medien nicht nur eine verzerrte Wahrnehmung meinerseits ist, hat jetzt eine Studie der "Glasgow University Media Group" gezeigt. Die Analyse und Auswertung von 200 TV-Sendungen und 800 Interviews ergab:
Television coverage of the Israel-Palestine conflict tends to reflect Israeli perspectives, while leaving most viewers alarmingly ill-informed.
Ein Grund für diese Einseitigkeit sei unter anderem der "heftige Druck" dem Journalisten ausgesetzt seien, wenn sie über den Nahost-Konflikt berichten.
Since then we have been contacted by many journalists, especially from the BBC, and told of the intense pressures they are under that limit criticism of Israel. They asked us to raise the issue in public because they can't. They speak of "waiting in fear for the phone call from the Israelis" (meaning the embassy or higher), of the BBC's Jerusalem bureau having been "leant on by the Americans", of being "guilty of self-censorship" and of "urgently needing an external arbiter".
"More Bad News from Israel", ein jetzt in neuer Auflage erschienenes Buch zum Thema stellt ebenfalls fest:
Any Israeli casualty is headline news, shown in high quality images.
[...]
Arab casualties may be shown in reports of a funeral, usually agency film, the victim anonymous. The Israelis, it seems, are for the BBC "people like us". The Arabs are "the other".
Das ist natürlich bei Weitem keine Neuigkeit. Schon 1975 haben die Journalisten Christopher Mayhew und Michael Adams in ihrem Buch "Publish it not. The Middle East Cover-Up" über ihre langjährige Erfahrung mit englischen Medien und deren Nahost-Berichterstattung Auskunft gegeben. Auch dort liest man bereits von Einschüchterungsversuchen, Morddrohungen und anderen Methoden mit denen eigensinnige Journalisten "auf pro-israelische Linie" gebracht werden sollten.

"Schlachtet die Araber" und gesunder Patriotismus
Wieder tote palästinensische Demonstranten. Und weil sie nicht von anderen Arabern, sondern von den guten Israelis erschossen wurden, wird man von den Ereignissen nichts im Jungle World Blog oder anderen Biotopen von Israelwahnsinnigen lesen. Die arabische Bevölkerung geht dem Haufen nämlich komplett am Allerwertesten vorbei. Dort interessiert man sich nur für die Revolten in den arabischen Ländern, weil diese möglicherweise Auswirkungen auf Israel haben könnten. Im Endeffekt gleichen sie dabei den Leuten von der Jungen Welt.
Auf die selbe Weise wie die die Hizbullah sich für alle Revolten bis auf die syrische interessiert und das Assad-Regime sogar noch verteidigt, so bejubelt man bei der Jungle World alle Proteste der Demokratiebewegungen so lange sie sich nicht gegen Israel richten.

Deshalb berichtet man dort wenn Araber gegen Juden hetzen aber nicht wenn es umgekehrt ist. Vielleicht sieht man dort in den jüngsten "Schlachtet die Araber"-Rufen ein gesundes (Anti-)Nationalbewusstsein. Von den Antideutschen habe ich bei einem Vortrag nämlich gelernt, dass Israel die einzige "Antination" der Erde sei. Die einzige Nicht-Nation, die schon allein deshalb niemals nationalistisch sein könne. Israelischen Nationalismus gepaart mit Rassismus und religiösem Fanatismus kann es demnach gar nicht geben, weil Israel sich auf dem Weg zur Nation Antination nicht gegen andere Nationen abgrenzen musste, sondern abgegrenzt wurde.

Klingt wirr. Ist es auch.

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Nachtrag 17:12 Uhr:

Mittlerweile berichten einige Onlinezeitungen. Die Zeit sogar auf zwei Seiten.
Ich habe selbst ein wenig nach Videos zu den Ereignissen gesucht und mir ist dabei aufgefallen, dass die Zusammensetzung der Demonstranten diesmal (möglicherweise) etwas anders aussieht. Es sind vor allem junge Männer. Beim Nakba-Marsch Mitte Mai waren auch viele Familien, das heißt auch ältere Menschen und Frauen dabei, wobei auch dort überwiegend männliche Jugendliche beteiligt waren.
Man könnte unter Umständen schließen, dass: 1. das Assad-Regime möglicherweise "rekrutiert" hat oder 2. die Leute von der israelischen Gewalt beim ersten Marsch abgeschreckt wurden und deshalb die älteren Menschen und die Frauen diesmal nicht mitmarschiert sind. Frohes Spekulieren!

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