al-Samidoun

Kommentare und Berichte zu Politik, Religion und Kultur mit Fokus auf den Nahen Osten.

Samstag, 27. August 2011

Unterdrückte Widersprüche

In den wenigen Momenten in denen ich gegenwärtig Zeit fürs Bloggen finde, fehlt mir meist die Motivation irgendetwas zu schreiben. So gebannt wie ich ab Dezember die Ereignisse um den so genannten "Arabischen Frühling" verfolgte, so grau rauscht er jetzt - längst zu einem Arabischen Herbst geworden an mir vorbei. Wo steht Syrien, was treibt die Ägypter, wer ist progressiv, wer reaktionär... vor einem Jahr hatte ich noch Antworten. Wenn ich momentan wenig schreibe, so liegt das sicherlich auch daran, dass ich mich selbst neu orientiere.

Hat sich neben all den Umwerfungen im Nahen Osten auch etwas in mir selbst gewandelt? Die Bilder von demonstrierenden Massen vor der israelischen Botschaft in Kairo erscheinen mir unwirklich und unheimlich. Vor wenigen Monaten hätte ich mir ein solches Szenario nicht auszumalen gewagt. Jetzt aber betrachte ich mit Skepsis die Fahnen-schwingenden Massen, wie sie einstimmig den Kampf gegen Israel fordern.
Und wieder sitze ich zwischen den Fronten. Natürlich waren die letzten Monate enorm wichtig für die Entwicklung der arabischen Staaten. Und natürlich begrüße ich beispielsweise den Druck, den das "neue Ägypten" gegenüber Israel aufbaut. Wann ist es zuletzt vorgekommen, dass sich ein israelischer Politiker bei Arabern entschuldigt hat? Vor einem Jahr wäre so etwas unvorstellbar gewesen.
Auf der anderen Seite trifft ein von ägyptischem Territorium ausgehender Anschlag israelische Zivilisten und damit wieder einmal die Falschen. Die Sinai-Halbinsel scheint zu einem neuen Konfliktherd zu werden. Ein Grund mehr alte Positionen und Standpunkte neu zu überdenken.

Wenig geändert hat sich dagegen bei den üblichen Pappenheimern. Dort sind die Fronten ähnlich klar wie vor einem Jahr und in den Jahren davor. Lediglich die Rhetorik gegenüber Saudi-Arabien und anderen westlichen Verbündeten im Nahen Osten hat sich ein wenig verschärft. Hauptfeind bleiben die Palästinenser und der Iran. Letzterer sei sogar für fast alle(!) Terroranschläge im Nahen Osten verantwortlich; phantasiert zumindest Thomas von der Osten-Sacken, dieser "Nahostexperte", der immer noch nicht den Namen des syrischen Diktators schreiben, geschweige denn aussprechen kann und der offenbar noch nie von den regelmäßigen Selbstmordanschlägen gegen schiitisch-iranische Pilger im Irak gehört zu haben scheint. Doch wenn er von Terroranschlägen im Nahen Osten schreibt, dann meint er eigentlich nur Israel. Alles andere ist für ihn unwichtige Nebensache.
Wer will es diesem ideologisch verblendeten Neocon verübeln, der sein Wissen hauptsächlich von nur wenig komischeren Lachnummern wie Michael J. Totten bezieht?

Richtig peinlich wird es erst, wenn besagter Osten-Sacken auf die "unterdrückten Widersprüche" in der (angeblich einheitlichen) "internationalen Palästina-Solidaritätsbewegung" hinweist. Dies macht er an den unterschiedlichen oder gar gänzlich ausbleibenden Reaktionen auf den Angriff auf ein palästinensisches Flüchtlingslager im syrischen Latakia durch das Assad-Regime fest.
Damit hat der ohnehin schon schwer angeschlagene Assad sich weiter diskreditiert.
Nicht etwa, weil die internationale Palästina-Solidaritätsbewegung jetzt eine Hilfsflotte zu entsenden drohte. Das geschieht nur, wenn man Israel beschuldigen kann.
Und dass sich ein Osten-Sacken für das Schicksal der Palästinenser erwärmt geschieht nur, wenn er damit irgendwie den Staat Israel verteidigen kann. Ich habe jedenfalls noch nie nur ein einziges Wort der Kritik an der Vorgehensweise Israels gegen die Palästinenser aus seinem Munde vernommen. Genau so wie er zwar voller Trauer auf die Opfer des jüngsten Anschlags im Süden Israels hinweist aber natürlich nicht ein einziges Wort des Bedauerns über den Tod der Palästinenser und Ägypter verliert, die im Zuge der israelischen Reaktion ebenfalls ihr Leben lassen mussten.

Nebenbei: Das Assad-Regime hat eine lange Geschichte von Verbrechen gegen die Palästinenser, und stand dabei zumindest politisch schon Seite an Seite mit dem israelischen Staat (so z.B. während des libanesischen Bürgerkriegs als Israel und das syrische Regime im "Harb al-Mukhayyamat" die gleichen Parteien im Kampf gegen die palästinensische Bevölkerung unterstützten.)

Das Leid der Palästinenser dient Osten-Sacken jedenfalls lediglich als Vehikel Hegemonieansprüche zu verteidigen. So wie dem Antisemiten die Palästinenser auch egal sind, so lange er ein Alibi hat seine Hetze zu verbreiten.

Es wird noch offensichtlicher... Auf dem Wadi-Blog (der auch unter der Düngerfraktion der PI-News Leser seine Fanbase hat) pikiert sich der Jungle-World Schreiber wenige Tage nach den israelischen Rachebombardements auf den Gazastreifen darüber, dass ein türkischer Angriff auf kurdische Gebiete im Irak mehreren Zivilisten das Leben gekostet hat. Von Kritik gegenüber Israel liest man dagegen nichts, so verblüffend ähnlich sich dich beiden, fast zeitgleich erfolgten Ereignisse in Türkei/Kurdistan und Israel/Palästina auch sind.

Das ist alles so furchtbar durchschaubar, dass es mir stellvertretend für all die Mitleid heuchelnden Spinner wie Thomas von der Osten-Sacken eiskalt den Rücken runter läuft. Ja, das sollte es ihnen eigentlich selbst, angesichts dieser offensichtlichen Einseitigkeit.

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